- sibyllezion
Über blinden Hass und verblendeten Fanatismus. In Solidarität mit den Trauernden in Colorado Springs

"Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!" (Lukas 23,34)
Meine lieben Freunde. liebe Frauen Gottes,
es ist früher Abend und seit Stunden überlege ich, wie ich den inneren Aufruhr in meinem Herzen in Worte fasse.
Seit ich diesen Blog schreibe, beobachte ich meine Followerzahlen und auch, wer mir so folgt. Und es sind immer Fluktuationen zu bemerken- immer dann, wenn ich der ein oder anderen "Front" der christlichen Szene widerspreche. Folgen mir einmal die Charismatiker in hoher Zahl, folgen mir morgen die Bibeltreuen. Je nachdem, was der Inhalt der Artikel ist- und je nach Zustimmung zu einzelnen Überzeugungen.
Der Punkt ist: Ich bin immer dieselbe.
Heute gemocht, morgen verworfen, scheint es in unserer Gesellschaft nicht mehr möglich zu sein, Spannungen und unklare Fragen auszuhalten. Es scheint nicht mehr möglich, gemässigte Positionen zu vertreten, und es scheint nicht mehr möglich, an das UND zu glauben: Jesus als Gott UND Mensch auf Erden, statt an Jesus als Gott ODER Mensch auf Erden. An die Gefallenheit der eigenen Natur, des eigenen Herzens UND an den neuen Bund, das neue Herz in Christus.
Die Positionen sind verhärtet: Entweder Sünder ODER Heiliger.
Die Gemeinde spaltet sich in Lager, in dem sie sich Halbsätze um die Ohren haut, den Kontext, die Konsequenz, das UND aus der Lehre streicht.
Die Bibel - sie hat einige unklare Passagen.
Was meint denn Jesus mit "Sünde zum Tode", und für wen soll man dann nicht beten, weil man sich sonst selbst versündigt? Was ist Züchtigung durch Gott? Heute habe ich einen Artikel zu diesen Fragen gelesen, und erstarrte innerlich. Warum? Weil lebensbedrohliche Krankheiten mit der "Züchtigung Gottes" gleichgesetzt wurden. Stirbt jemand an der Krankheit, sei es "eine Sünde zum Tode". Es erinnert mich an die übereifrigen Jünger, die Jesus fragten, aufgrund welcher Sünde denn bitte der Blinde blind sei?! Er antwortete: "Wegen keiner, sondern damit Gott an ihm verherrlicht werde." Ehrlich gesagt, mich erfüllt es mehr und mehr mit Entsetzen, wenn ich lese, was für ein Druck und was für Rundschlüsse in den Gemeinden gedankenlos und oberflächlich geglaubt werden. Mehr noch- schockiert mich die Härte, die sich verbreitet wie ein Lauffeuer. Der Hass. Die Schreie nach Todesurteilen. Der blinde Fanatismus, der sich breitmacht. Und es wird immer mehr.
Gestern wurden Menschen erschossen in Colorado Springs. Weit weg sagen wir- wir kennen ja niemanden dort. Nun, doch. Ich habe lange Zeit mit jemandem aus Colorado Springs geschrieben und sie lieb gewonnen. Es ist gerade mal so groß wie Duisburg. Wer ist betroffen, frage ich mich? Wessen Klassenkamerad wurde erschossen, wessen Kindergartenfreundin, Nachbarin? War es die Verkäuferin in der Apotheke, im Supermarkt, von deren Neigung man nichts wusste- die aber immer extra freundlich war? Weg, tot, hingerichtet.
Noch ist nicht klar, ob der Amoklauf in Colorado Springs in einem Schwulen/Lesbenclub religiös motiviert war. Was jedoch frappierend ist, ist, dass kurz zuvor eine Predigt viral ging, in der dazu aufgefordert wurde, Lesben, Schwule und Transgender hinzurichten, weil das mosaische Gesetz das so vorsehe- es wurde als heilige Pflicht hingestellt. Kurz darauf ließen 5 Menschen ihr Leben, 25 weitere wurden teils lebensgefährlich verletzt. Fünf Familien trauern. Zahllose Freunde sehen ihre Freunde nie wieder. Mütter beweinen ihre Kinder, Partner ihre Liebe. Im Namen des Herrn? Kaltblütiger Mord? Wo stehen wir als Gemeinde? Wo stehen wir als Christen?
Woher kommt all dieser Hass, all dieser blinde Fanatismus, woher kommt diese Selbstjustiz und Anmaßung?
Was mich am meisten schockiert ist, dass viele befriedigt sagen werden: "Ein Gottesurteil." Merken wir noch, dass das Euthanasie ist? Merken wir noch, dass das in den 30er Jahren viele auch über die Judenpogrome sagten?
Dass es ihnen recht geschehe, den Christusmördern, die doch eigentlich das Volk der Wurzel Davids sind? Das Volk Jesu Christi?
Aus unseren Einstellungen werden Handlungen.
Aus unserem elitären Denken wird Gewalt. Aus Gewalt wird Mord. Und weil es diesmal die Homosexuellen getroffen hat, wird manch ein Schulterschluss folgen: Denn "die da" sind "Gottes Gnade ja nicht wert, abscheulich wie sie sind".
Mögen wir knien.
Knien wegen unserer eigenen "abscheulichen Sünde". Wegen unseres Stolzes. Wegen unseres geistlichen Hochmutes. Wegen unserer Unfähigkeit, Spannungen auszuhalten. Wegen unserer Unversöhnlichkeit, unseres Hasses, unserer eigenen, projizierten Sünde. Mögen wir Jesus bitten, die Herrschaft aus unserer Hand zu nehmen. Damit nicht im Namen des Herrn wieder Menschen sterben, die wir als "unwert" einstufen. Und Menschen, die an Krebs sterben, nicht denken, das sei die verdiente Strafe Gottes, der sie weniger liebt und weniger Gnade für sie hat als für andere.
Oh Jesus, schenk uns Weisheit. Schenk uns Barmherzigkeit füreinander. Und Vater, Abba, bitte lege diesen extremen Hass unter Jesu Füße. Unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut, Geschwister. Nicht gegen den Bruder, der charismatisch ist, nicht gegen die Schwester, die brüderlich lebt. Nicht gegen den Homosexuellen, der mit seiner Neigung kämpft, nicht gegen die Frau, die in ihrer Verzweiflung abgetrieben hat.
Nichts, garnichts rechtfertigt solchen Hass, solche Erhebung über andere, solche Heuchelei.
Aus Zorn und Wut, aus verletztenden Worten, aus geistlicher Verblendung kann Mord werden. Möge Gott uns davor bewahren. Sonst ist Christus in der Tat umsonst gestorben. Denn die Gnade, die du für dich annimmst, sie steht jenem, den du verurteilst, ebenso zu.
Möge Jesus jene trösten, die nun trauern. Und mögen wir aufpassen, in welche Richtung wir laufen.
Tief betroffen und im Gebet für all jene, die nun trauern und in Angst leben.
Seid gesegnet.
Sibylle/Zionstochter.