- sibyllezion
Über die Sache mit dem Nadelöhr

"Und weiter sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. (...) Jesus aber sah sie an und sprach zu ihnen: Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich." (Matthäus 19,24+ 26)
"Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan."(Mt 25,45)
"Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon."(Mt 6,24)
Meine lieben Freunde, liebe Frauen Gottes,
Glitter, Glamour, rote Teppiche.
Öffentliche Anerkennung, begeisterte Seminarteilnehmer. Immer strahlende, gesunde, schöne Gesichter. Und auf der Media Leinwand strahlt die glückliche, christliche Familie auf ihrer Yacht in die Kamera.
10 Stufen Programme zum erfolgreichen, christlichen Leben.
Neue Mindsets, Umgestalten des Online-Auftritts, professionelles Fotoshooting, Airbrushing vor dem Auftritt, und unter der Hose zwickt der Bodyshaper.
Hm.
Ich habe vor einer ganzen Weile etwas Verrücktes getan:
Ich habe auf den Impuls Gottes gehört, nachts um drei aufzustehen, um eine erfolgreiche, strahlende, anerkannte, reiche, bewunderte christliche Leiterin bei einem Liveauftritt mit Fürbitte zu unterstützen. Ich fand das ganz schön merkwürdig, ein wenig dämlich, denn was sollte mein Gebet schon zählen, was für einen Unterschied machen? Besser, in den warmen Federn zu bleiben und sich die Liveübertragung am nächsten Morgen anzusehen.
Doch Jesus gab mir das, was man ein Gebetsmandat nennt- sei an ihrer Seite- und so sehr ich versuchte, es zu ignorieren- ich konnte einfach nicht einschlafen in dieser Nacht. Und so kochte ich mir zähneknirschend einen Kaffee und saß schlaftrunken vor dem Rechner, als die Liveübertragung mit acht Stunden Zeitverschiebung begann.
Sie sah nicht gut aus an diesem Tag, angespannt, unsicher, getroffen.
Der Rahmen war ein kleiner, familiärer, informeller Rahmen, den sie lange Zeit betreute. Was bei dieser Übertragung fehlte, war das Hochglanzmagazin, die Maskenbildner und Stylingberater, der Filter und der Cut des Videos, des Podcasts, der ermöglicht, alles noch einmal blank zu polieren, zu bearbeiten- so, dass es für alle möglichst angenehm und störungsfrei wird- so wie das perfekt arrangierte Essen im Fünfsternehotel.
Und dann passierte es.
Mitten im Sprechen, mitten im Vortrag brach sich ihre Überforderung Bahn. Die Selbstzweifel, die Anspannung, die chronisch auf jenen liegt, die so sehr als glitzerndes Idealbild in der Öffentlichkeit stehen:
"Ich kann es nicht! Ich vermassel es immer! Immer wieder scheitere ich!"
Das Schluchzen kam aus dem Abgrund ihrer Seele- und plötzlich wusste ich, warum ich beten sollte.
Jesu Liebe zu dieser Frau schwemmte mich völlig weg. Ich betete, dass er ihr die Kraft geben würde, durchzuhalten. Durchzuhalten für die Dauer ihres Vortrages, für die Zeit der Öffentlichkeit, für die Zeit, in der alle Ansprüche, Erwartungen, Projektionen, Kritiksüchte, Heilserwartungen auf ihr lasteten, die wie die blutdürstige Pflanze im kleinen Horrorladen rufen: "Feed me!"
Nein, sie hatte nichts zu füttern. Sie kämpfte mit ihrem Atem, sie kämpfte mit dem, was in ihr tobte, aber dafür war in der blanken "the show must go on"- Fassade kein Raum. Es war nicht angemessen. Also straffte sie kurz darauf ihre Schultern und fuhr fort, als wäre nichts gewesen.
Selten wurde mir bewusster, was für einen Schaden wir an unserer Seele nehmen, wenn wir die Welt gewinnen.
Ich persönlich kämpfe seit langer Zeit mit der Frage, wie Zionstochter denn nun präsentiert werden soll. Ich kämpfe damit, weil mir nur allzu bewusst ist, dass die Glitterweltfassade des perfekten Leitertums, des erfolgreichen, sich selbst verwirklichenden Christen wie keine andere nach vorne gepusht wird.
Und ja: Sie hat ihren Reiz: Konferenzen, Außenwirkung, Begegnungen, Abenteuer. Einfluss und Selbstbestätigung. Latte Macchiato und Business Flüge.
Wisst ihr, das Problem daran ist nur: Es ist eine Scheinwelt. Es ist nicht die Wahrheit.
Es ist nicht jeder schön, jung, gesund und selbstbewusst. Es hat nicht jeder grenzenloses Vertrauen in Versorgung, und nein, nicht jeder ist umgeben von förderlichen und positiven Menschen. Nicht jedes Gebet wird erhört, und der Anspruch, der auf jenen lastet, die aus der vermeintlichen Enge der Mittelmässigkeit ins öffentliche Rampenlicht treten, ist so hoch, dass die meisten von ihnen innerlich zusammenbrechen. Manchmal erfahren wir es: Die Ehe, die scheitert. Der christliche Leiter, den alle so bewundern, der dem Alkohol verfällt. Die Essstörung, die mit explodierendem Terminkalender genauso explodiert, weil jeder Angriff, jeder Feuerpfeil, jedes bewusste missverstehen wollen die Seele trifft, die Persönlichkeit.
Weil nicht die Botschaft, sondern der private Mensch ins Zentrum der Attacken gezogen wird. Weil das Heil in der Person, nicht in der Botschaft gesucht wird.
Berühmtheit macht einsam. Es schränkt ein.
Nach außen glitzern die Villen, die Präsentationen sind perfekt, und doch. Niemals weiß man, ob die Person gegenüber Freund oder Feind ist. Ob man geliebt wird für den Namen, den man hat, oder die Person, die man wirklich ist-mit allen Stärken, Schwächen, offenen Fragen und Wunden. Ob es der Ruhm und der Vorteil ist, den andere aus einem ziehen wollen, oder ob es um das eigene Herz geht. Also mauert man. Man errichtet Schutzmauern um einen inneren Kern, der irgendwann so degeneriert wie ein abgeschiedenes Dorf, in dem alle untereinander heiraten.
Kein unerkanntes Einkaufen gehen. Keine Freiheit, öffentlich schlechte Laune zu haben. Kein Scheitern, kein offenes Bekennen von Lebenskrisen, bevor diese nicht wieder in einem anständigen Fahrwasser sind. Der Tod des besten Freundes- er ist Privatsache, das Business muss weiter laufen. Und die, die nicht zahlen können, die, die hungern nach der Botschaft- sie sind nicht zuträglich, sie sind nicht gewinnbringend, und sie bleiben vor verschlossenen Türen stehen- wieder nicht gesehen, wieder nicht gewollt, wieder ausgeschlossen von der bunten, farbenfrohen Welt der erfolgreichen Business-Netzwerke und Mindset-Fassaden.
In den letzten drei Jahren gab es Zeiten, in denen mein Mann mich anstarrte und sagte: "Ja, okay, du musst beten, aber ist das jetzt privat oder Dienst? Es geht nur noch um den Dienst. Es geht nur noch um das, was Gott angeblich will. Aber dein Sohn würde wirklich gerne mal wieder mit dir schwimmen gehen."
Zionstochter ist nicht einmal groß. Es sind keine Listen mit 50 Namen am Abend, für die ich beten soll (und oft auch will). Es sind keine 300 Emails am Tag, die man gar nicht mehr auf Echtheit überprüfen kann. Es ist kein Terminkalender mit 80 Arbeitsstunden für zwei Wochen Urlaub.
Wie nach Luft japsend rasen sie durchs Business, diese christlichen Leiter. "Herr, ich gebe dir alles, was ich bin, jetzt, zwischen diesem Meeting und dem nächsten."
Ich war mal in einem Live-Online-Event von Max Lucado. Die Massen schrien nach seinem Gebet wie die Fans von Boygroups, Justin Bieber oder GNTM nach Autogrammen und "einem Kind von dir"
John Eldredge sagte mal: "Es muss klein sein. Man muss zusammen essen können, sich kennen, campen gehen und einander halten und aushalten. Es ist viel leichter in großen Kirchen- dort bist du überhaupt nicht herausgefordert, den anderen zu lieben. Es bleibt alles unverbindlich."
Ich glaube, er hatte recht, damals, als er das sagte.*
Die Frage ist nicht, ob wir Christsein vermarkten können. Natürlich können wir das. Die Frage ist auch nicht, ob Gott jene in seinem Dienst segnen will- natürlich will er das.
Die Frage ist: Was ist das Ziel, und wer ist die Zielgruppe?
Geht es darum, wirklich Gemeinschaft zu leben oder um Selbstverwirklichung? Geht es darum, Angebote zu schaffen für jene, deren Herzen verbunden werden müssen, die aus Gefangenschaft kommen oder geführt werden müssen, geht es um jene am Rand- oder geht es darum, die Starken noch stärker zu machen, während die Schwachen am Rande liegenbleiben als die, "die ja nicht wollten?" Hoffnungslos, übergewichtig, depressiv, ängstlich, bindungsgestört, vaterlos, missbraucht, gequält, verhungernd?
Zionstochter steht mit Letzteren.
Ich weiß nicht, wie ich das eine mit dem anderen vereinbaren kann. Aber vielleicht liegt es daran, dass Jesus sagte: "Du kannst es nicht- ohne Schaden an deiner Seele zu nehmen." Denn der, der uns verspricht, uns alles zu geben- Länder, Villen, die Schätze dieser Welt- war der, der zu Jesus sagte: "Du musst mich nur anbeten."
Gestern gab mir Gott wieder einen Gebetsauftrag. Das Gebet floss leicht. Freudig, voller Dankbarkeit. Es waren 40 Männer, die sich trafen, um zusammen und miteinander zu wachsen. Draußen, am Lagerfeuer. Mit Jesus, mit dem Bitten um Heilung. Es muss klein sein.
Wo hinter lächelnden Fassaden kein Raum für schwierige Fragen bleibt, wo keine echte Begegnung mehr ist, wo keiner mehr Mut hat, über Probleme zu sprechen und das Leben immer glanzvoll, glatt, freudvoll und ohne Zweifel verläuft, wo Leid ausgegrenzt und die Botschaft der Rettung zugunsten 10 Stufen Plänen zurückweicht, wo Gott in unsren Stärken und nicht in unsren Schwächen stark ist, und wo die Messlatte für Segen Erfolg und Schönheitsideale sind, finde ich Jesus nicht mehr.
Denn er begegnete mir in meinen Schwächen. In meinem Versagen. In meinen Ängsten, in meiner Trauer. Und in meiner Sehnsucht nach jenem Reich, in dem es Fisch und Brot statt Kaviar gibt.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und wenn wir uns auf den Weg machen, zu dienen, dann ist es gut, das Ohr ans Herz Jesu zu legen. Was willst du, Jesus?
Die Tränen, die ich über dieses so bewunderte Gesicht fließen sah, haben sie mich gestört?
Nein, überhaupt nicht. Ehrlich gesagt: Wenn Gottes Wort uns nicht mehr ergreifen darf, dann läuft alles falsch. Ich habe gedacht: "Ach, da bist du ja!" Und aus der erfolgreichen Leiterin wurde eine Schwester, die ich lieben kann.
Seid gesegnet,
Sibylle/Zionstochter
Quellenangaben:
Die Bibel. Luther 2017, hier zitiert nach: www.bibleserver.com
*John Eldredge über Gemeinde: https://www.simplechurchjournal.com/2004/07/eldredge_on_hou.html
Foto: Pixabay
Worship: "May she rest"- Gavin Luke.