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  • sibyllezion

Symphonie in Moll und Dur- Lea und Rahel

Aktualisiert: 22. Juni




"Es ist nicht unsre Unterschiedlichkeit, die uns trennt. Es ist unsre Unfähigkeit diese Unterschiedlichkeit  wahrzunehmen, zu akzeptieren und zu feiern" 
( Audre Lorde)




Meine lieben Schwestern,


Gott, unser Schöpfer, er wird mit allem möglichen verglichen. Autor, Regisseur, Töpfer, Maler, Komponist. Was all diesen Bezeichnungen eigen ist, es ist: Kunst. Schönheit. Jemand, der ersinnt, erschafft, aus Chaos etwas entstehen lässt, das unsre Herzen berührt. Jemand, der einer tieferen inneren Harmonie folgt, ein Gesamtbild entwerfend, das fesselnd ist.


In der Musik gibt es zwei Tonarten, und je nachdem, welche gewählt wird, führt sie uns in unterschiedliche Räume, Gedanken, Emotionen:


Es gibt die Molltonart, eine Tonart der Tiefe. Des Nachsinnes, der Melancholie. Lieder in Moll sind von einer erdigen Schwere, bringen uns in Kontakt mit unsren Sehnsüchten, unsrer wehen Sehnsucht, die die Bibel mit "dem Seufzen der Schöpfung" bezeichnet. In ihrer Tiefe will man sich verlieren, sie sind so vielschichtig, dass sie uns das Geheimnisvolle, das Wahre, das Schmerzvolle und doch auch den süßen Schmerz des Herzensrufes nach Zuhause hören lassen. Sie wärmen, sie tragen, und häufig sind sie ruhig und eher getragen. Die schönsten Liebeslieder- sie sind in Moll geschrieben.


Dur- auf der anderen Seite- sind wie der Frühling, wie der Sommer, der in seiner Heiterkeit alles überstrahlt. Lieder in Dur, Kompositionen in Dur drücken Fülle aus, Überschwang, Lebendigkeit. Sie fordern zum Tanzen auf, zum Loben, sind wie erfrischende Quellen, leichtfüßig und verspielt.


In 1. Mose 29 begegnen wir zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und das erste, das wir über sie erfahren, ist in der Tat die schier unvereinbare Gegensätzlichkeit der beiden:


"Laban aber hatte zwei Töchter; der Name der Älteren war Lea und der Name der jüngeren Rahel. Leas Augen waren matt; Rahel aber war schön von Gestalt und schön von Aussehen" (1. Mose 29,16 ff)


Lea und Rahel- Moll...und Dur.



Zwei Frauen, unterschiedlich wie Tag und Nacht, die ein gemeinsames Schicksal ebenso verband wie das Band der Schwesternschaft, die auch weiterhin verbunden bleiben sollten durch einen Betrug, derer sie beider Opfer wurden: Als Ehefrauen desselben Mannes: Jakobs.


Beide waren Töchter eines Viehzüchters, der seinen Kindern Namen von Tieren gab. "Wildkuh" ist die Bedeutung von Lea, "Mutterschaf" die Bedeutung von Rahel.


Ja, gewiss, beide Namen haben eine weitere, eine zweite Bedeutung, wie es im hebräischen häufiger zu finden ist. Aber es ist schon bezeichnend, dass ein Viehzüchter seine Töchter, die keine Söhne sind, solche Namen auswählt. Eine Handelsware sind sie, und wir wissen, dass Laban ein gerissener und erfolgreicher Händler war, wenn es um die Viehzucht ging. Mit der Wahrheit nahm er es ebensowenig genau wie mit der Vollherzigkeit, Gott zu dienen: In seinem Haus wurde der Name des Herrn angerufen- und Hausgötzen dort angebetet, wo es nützlich erschien.

Auch die Art, wie sich die Geschichte mit Jakob, Lea und Rahel weiterentwickelt, lässt eine gewisse Gleichgültigkeit und Besitztum- Einstellung Labans gegenüber seinen Töchtern erahnen. Von einer Mutter- lesen wir derweil nichts. Vielleicht hat es sie gegeben, irgendwo im häuslichen Bereich. Vielleicht ist sie bei einer Geburt gestorben. Wir begegnen dem Vater Laban nicht als Ehemann.


Als ich diese Geschichte nach vielen Jahren mal wieder las, tat ich es, weil ich kurz zuvor eine Auslegung gelesen habe, die mir das Herz brach: Gott habe, so die Aussage, Rahel für ihre Schönheit mit Unfruchtbarkeit bestraft und Leas gottesfürchtiges Herz erhoben und sie mit Mutterschaft gesegnet. War es also Gehorsam, der Lea die Mutterschaft gewährte und Rahel nicht? War es nicht auch Gott, der Rahel dieses fröhliche Wesen gegeben hatte? Warum also sie bestrafen für das, was sie war?


Jedes Mal, wenn ich eine Auslegung höre, die meinem Bild von Gott widerspricht, entscheide ich mich in diese Geschichten einzutauchen.


Was hat er mir gezeigt? Eine faszinierende Geschichte der Andersartigkeit, die mich in eine tiefe Nachdenklichkeit führte. Eine Geschichte der Konkurrenz zweier Frauen. Eine Geschichte des Strebens und Beneidens der anderen um das, was man selbst nicht hat. Und still, im Hintergrund, die Botschaft, wie es auch hätte sein können.


Es ist die Geschichte einer gestörten Schwesternbeziehung. Und die Geschichte eines Mannes, der das Beste für sich aus beiden Ehefrauen zog, statt Versöhnung und Gleichgewicht zu gewähren.


Wer war Lea?


Wir sind schnell dabei. sie als Fehler zu sehen, oder? Sie zu bemitleiden, sie vielleicht auch ein wenig zu kritisieren. Lea, heißt es, hatte matte Augen, nicht so wie ihre Schwester, deren Augen strahlten vor Lebenslust! Kein Wunder, dass Jakob die jüngere Schwester bevorzugte, sich Hals über Kopf in sie verliebte! Und dann wird sie auch noch seine Ehefrau anstatt Rahel! Wie eine störende Dritte in der Bettritze des Ehebettes...doch hatte Lea eine Wahl? Wohl kaum.


Die Geschichte verrät zwischen den Zeilen so viel mehr. Wer und wie war Lea, was war ihr Lebensbereich- und was heißt diese Stelle eigentlich mit den "matten Augen"?

Das Wort, das manche Bibelübersetzungen mit "matt" übersetzen, hat eine vielfältige Bedeutung: Sanft. Introvertiert. Scheu. Ängstlich. Matte Augen sind oft ein Zeichen von Melancholie, aber in ihr auch von Tiefe, Intelligenz, von einer erdigen Mütterlichkeit.


Lea, anders als Rahel, die als Hirtin für ihren Vater arbeitete, führte wohl ein zurückgezogenes Leben. War eher ruhig, im Haus beschäftigt, was ihren Aktionsradius einengte. Und tatsächlich bedeutet Lea "die Ermüdete, die vergeblich sich Bemühende".

Einen Haushalt zu führen, es ließ nicht viel Zeit für sich selbst. Frauen arbeiteten von den frühen Morgenstunden bis in die späte Nacht. Und gesehen- wurde das nur selten. Sie als Frauen- waren unsichtbare Versorger.


Was Lea nicht war, war eine extrovertierte Frau, eine Frau, die ihr Land einnahm. Dass ihre Schönheit nicht gelobt wurde, muss jedoch nicht zwangsläufig heißen, dass sie eine hässliche alte Jungfer war. Betrachten wir das heiratsfähige Alter, das bei 13 Jahren begann und mit 17 schon fast überschritten war, ist das auch nicht wahrscheinlich. Nein. Lea war einfach eine stille Frau, fast noch ein Mädchen, eine in sich zurückgezogene, sanfte, zärtliche Natur. Wahrscheinlich hat sie lieber zugehört als selbst geredet, war lieber fürsorglich als raumeinnehmend, und wahrscheinlich trug sie etwas in sich, das einem Fluch entsprach in der damaligen Zeit- und vielleicht sogar noch heute: Eine Intelligenz, eine Klugheit, die ihr als Frau nicht zugestanden wurde und die als unfeminin und anders galt- und die sie daher als belastend empfand.


Rahel indes:

Sie entspricht völlig den Vorstellungen einer begehrenswerten Partie, und sie trifft Jakob als Erste. Warum?

Nun, sie war Hirtin, und so war sie draußen- während Lea zuhause war. Braungebrannt als Hirtin, drahtig, weil sie sich viel bewegte, war sie ein Blickfang für Männer. Auch sie war keine Prinzessin mit bleicher Haut und zarten Händen. Nein, sie war selbstbewusst, körperbewusst, bei Wind und Wetter unterwegs. Das Hüten der Schafe wird ihr Zeit eingeräumt haben, die Lea nicht fand. Stunden für sich, während die Schafe grasten. Sie war lebenslustig, hatte strahlende Augen und eine positive Ausstrahlung. Sie war gottesfürchtig, und vor unsren Augen ersteht eine schöne junge Frau mit silberklarem Lachen, einem goldenen Herzen und strahlender Präsenz. Man sah sie gerne an, und wir können getrost davon ausgehen, dass Männer sie still bewunderten und begehrten. Tatsächlich ist Laban sofort damit einverstanden, dass Jakob sie heiraten will: "Besser ich gebe sie dir als dass ich sie einem anderen Mann gebe" (1.Mose 29,19) Kanditaten gab es wohl genug für diese präsente Schönheit mit heiterem Wesen und tüchtigen Händen, und Laban war froh, sie zu versprechen, bevor ein Unheil geschah!


Ja, in der Tat: Ein Hauch von sommerlicher Heiterkeit streift uns, wenn wir an Rahel denken. Erfrischend, leicht, freudvoll. Doch was uns auch streift...es ist eine Reduzierung ihrer selbst auf genau diese Attribute.


Ich frage mich, wie sind diese beiden Schwestern wohl miteinander ausgekommen, bevor Jakob auf den Plan trat?


Schwesternschaft ist nie einfach.


Eine Schwester, die bereits in den ersten Zeilen als die junge, die schöne, die lebendige, die strahlende eingeführt wird, ist für jemanden, die eher introvertiert ist, eher erschlagend. Ich meine, schaut euch die Situation an: Rahels Schönheit wird gelobt, sie genießt Freiheiten, die Lea nicht hat- und ihr Wesen ist sofort einnehmend. Jemand, der eine solche Lebendigkeit ausstrahlt, versteht oft nicht, dass andere es nicht tun. Vielleicht hat Rahel Lea versucht, zum Lachen zu bringen, und Lea konnte nicht aus sich herausgehen. Vielleicht hat Lea versucht, Rahel zu bändigen, ihr Substanz zu vermitteln, häusliche Fertigkeiten, Geduld- aber Rahel sah es als Einengung. Ganz gewiss aber wird die eine in der anderen mehr die Unterschiedlichkeit gesehen haben als die Gemeinsamkeiten. Hatten sie sich lieb? Oh, bestimmt. Aber manchmal reicht das nicht, um den Gedanken der Konkurrenz und des Vergleichs mit der anderen zu besiegen.


Es liegt in unsrem Wesen, dass wir uns leicht zurückgesetzt fühlen. Dass Frauen, die so sehr in den Mittelpunkt der Bewunderung geraten, uns an den Rand zu drängen scheinen. Sie tun das nicht absichtlich, es ist ihr Esprit, ihre Art, Räume zu füllen mit ihrer Anwesenheit, andere zu fesseln. Oft denken sie dabei nicht nach. Sind spontan und ein wenig sprunghaft. Überrennen mit ihrem Wesen andere.

Frauen auf der anderen Seite, die erdige Substanz und Souveränität vermitteln, Kunstfertigkeit und Struktur- sie wirken auf diese quirligen Frauen oft mental überlegen, in ihrer ganzen Zurückgezogenheit. Die Sanftheit, die Geduld, die Stetigkeit, die Überlegtheit und das reduzierte Sein, die solchen Frauen zu eigen ist, ist etwas, das diesen Wirbelwinden, diesen Frauen oft fehlt.


Wir alle wissen, dass der Konflikt zwischen den Schwestern in offenem Kampf mündete.

Über den Konflikt, warum er so derart eskalierte und Gottes Intervention schreibe ich im nächsten Beitrag.


Heute möchte ich den Fokus auf etwas anderes richten:


Wenn ich mich einer Tonart zuordnen müsste, so wäre ich mehr Dur als Moll. Und wie Rahel bin ich überschäumend, und in meiner Freude, in meiner Lebenslust quirlig und erfrischend. Doch ich würde alles geben für eine Schwester wie Lea.


Wisst ihr, es ist doch so: Wir können uns immer gegenseitig mit Unverständnis und dem Willen begegnen, den anderen zu dem zu machen, was wir selbst sind. Aber manchmal ist die Gegensätzlichkeit das eigentlich Fruchtbare. So dramatisch die Geschichte mit Lea und Rahel sich späterhin entspinnt, ihre Schwesternschaft selbst war angelegt zum Segen.


Hätte Lea ein offenes Herz gehabt für ihre Schwester, so hätte sie ihre Leichtigkeit aufnehmen können als Bereicherung. Sich an ihrer Lebensfreude erfreuen und vielleicht lernen können, nicht so furchtsam, introvertiert, müde zu sein.


Hätte Rahel ein offenes Herz für Lea gehabt, hätte sie von ihrer Tiefe, von ihrer Mütterlichkeit lernen können. Sie wäre geerdet gewesen, hätte Konstanz und Empathie gelernt.


Und doch: Beide entschieden sich, die andere als Konkurrenz zu sehen, und buhlten um denselben Mann und dessen Liebe, der doch den eigenen Vorteil aus beiden zog.


Der Mann, dem wir in unsrer Unterschiedlichkeit angetraut sind, ist Gott sei Dank nicht Jakob. Es ist Jesus, der uns gleichermaßen liebt, segnet, und der jeder zuteilt an Gaben, was ihr zusteht. Für Jesus ist es wichtig, das wir voneinander lernen, in Respekt, in Liebe.


Wisst ihr: Ich glaube, Laban hatte zwei wunderschöne Töchter. Und Jakob hatte zwei wunderschöne Frauen. Hätten sie sich nicht gegenseitig beneidet, sondern Gottes Schiedsspruch akzeptiert, der Leas Zurückgesetztsein ein Ende bereiten sollte, ohne Rahel ihre Romanze zu nehmen, vielleicht hätten sie glücklicher sein können. Vermitteln, segnen können, bis beide beides erleben konnten.


Das Lied, das ich heute gewählt habe, ist eine Kombination aus beidem: Aus Moll- und Dur. Aus Tiefe und Leichtigkeit. Es ist die Gegensätzlichkeit, die in der Musik die größten, die schönsten Meisterwerke schafft.


Mögen wir lernen, einander als Bereicherung zu sehen- und nicht als Konkurrenz.



In Liebe, seid gesegnet- so, wie ihr seid.

Sibylle.


Sources:

Die Bibel. Rev. Elberfelder Übersetzung, 1. Mose 29,ff

Foto: Pixabay

Musik: Anne Clark :Poem without words 2 / "Hopeless Cases"


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