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Will Gott, dass wir betrügen? Schwierige Gleichnisse- das Gleichnis vom ungerechten Verwalter
Aktualisiert: 7. März

Meine Lieben,
es gibt manche Gleichnisse, die uns recht ratlos hinterlassen. Ganz oben auf der Liste der unverständlichen Gleichnisse steht wohl das vom ungerechten Verwalter.
Und weil es so unverständlich und unklar ist, wird es meistens, gerne, unter der Hand schlichtweg nicht gepredigt.
Nein, dass Jesus dieses betrügerische Verhalten dieses Verwalters auch noch lobt- das kommt doch recht grotesk daher.
Aber seht mal:
Grundsätzlich müssen wir davon ausgehen, dass Jesus uns etwas zeigen wollte- denn er hat Gleichnisse ja nicht umsonst gesprochen.
Ich war wirklich erleichtert und auch ein wenig amüsiert, als mir vor ein paar Jahren die erste verständliche, sinnmachende und gleichzeitig von einem solchen Charme geprägte Deutung von Lukas 16, 1-8 in die Hände fiel, dass ich es euch weder vorenthalten kann noch möchte. Es ist ein Beweis dafür, wieviel Detailwissen und kulturelles Verständnis uns verloren gegangen ist, das wirkliches Verständnis für Jesusworte schafft.
Und, auch das muss man mal ganz klar statuieren, gibt es verschiedene Annäherungsversuche an das Gleichnis, die mir die Haare zu Berge stehen lassen, weil sie Lüge rechtfertigen. "Der Zweck heiligt die Mittel" wird oft von großen Ministries gebraucht, um Wege, die dann doch deutlich krumm und nicht grade sind, vor sich zu rechtfertigen. Aber das- sagt dieses Gleichnis überhaupt nicht aus.
Heute räume ich ein, dass der ganz überwiegende Teil der Deutung nicht von mir stammt. Ich teile eine Perle mit euch, die mir vor die Füße fiel, und geschenkt ist sie von dem 2016 verstorbenen Begründer des Instituts für nahöstliche Studien, dem Professor für Neues Testament Dr. Kenneth E. Bailey. Den Literaturhinweis findet ihr im Anschluss an den Artikel.
Folgt mir in eine wunderbare Geschichte, die starke Parallelen zum Verlorenen Sohn aufweist:
"Es war ein reicher Mann, der einen Verwalter hatte; und dieser wurde bei ihm angeklagt, als verschwende er sein Habe" (Lk 16,1, Elb. Ü.)
Da gibt es also einen ausgesprochen wohlhabenden Herrn, der seine Geschäfte vertrauensvoll seinem Verwalter überlässt. Dieser ist zuständig für Verträge, für Schuldscheine, für Abgaben, die zu leisten sind, für Handel und Verkauf. Gibt ein Hausherr diese Bereiche an einen derart hohen Posten ab, ist das, was er erwartet, Loyalität, Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit.
Nun wird ihm aber zugetragen, dass dieser Verwalter ein schlechter Verwalter ist, der sein Geld verprasst, anstatt loyal für ihn zu arbeiten. Von wem wird das an ihn herangetragen? Von anderen Bediensteten? Von Freunden?
Es ist üblich, einen solchen Vorwurf zunächst einmal zu hinterfragen, es sei denn...er wird geäußert von jemandem, dem man bedingungslos vertraut. Von einem langjährigen Freund, der Besorgnis äußert, beispielsweise. Wir lesen nichts über weitere Nachforschungen, der Verwalter glaubt diesen Vorwurf ungesehen, und handelt entsprechend:
"Und er rief ihn und sprach zu ihm: Was ist das, was ich da von dir höre? Lege die Rechnung von deiner Verwaltung ab! Denn du wirst nicht mehr Verwalter sein können!" (Lk 16,2 Elb.Ü.)
Die Eröffnungsfrage ist rhetorisch und konfrontierend, nicht dialogbereit.
Der Entschluss, den Verwalter zu entlassen, ist längst getroffen. Das merkt der Verwalter und antwortet auf diese (Fang)-Frage mit Schweigen. Alles weitere hätte dazu geführt, dass er vielleicht mehr eingestanden hätte, als der Hausherr wusste...
Nachdem diese Frage unbeantwortet im Raum steht und der Verwalter sieht, dass er keine weiteren Antworten erhalten wird, entlässt er seinen Angestellten, denn das, was ihm zugetragen wurde, reicht aus. Die Rechnung ablegen bedeutet nicht, eine Bilanz zu erstellen, sondern die Rechnungsbücher bei ihm abzugeben. Der Verwalter ist fristlos gefeuert.
Im nahöstlichen Recht der damaligen Zeit konnten die Anstellungen und Vollmachten jederzeit widerrufen werden, die ein Verwalter innehatte. Gültig wurde die Kündigung aber erst, wenn sie zugestellt war. In diesem Falle war es eine persönliche Kündigung, sodass der Verwalter wusste, dass jede Entscheidung, die er jetzt traf, für den Hausherrn nicht bindend war. Er konnte diese mit Hinweis auf die Entlassung jederzeit widerrufen. Das ist sehr wichtig zu verstehen. Er ist quasi, wie Bailey es ausdrückt, "ein Ex-Manager, der noch Zugriff auf die Konten hat, aber schon entlassen ist."
Interessant ist es nun, dass dieses Vorgehen total ungewöhnlich war und ist im Nahen Osten. Eine Kündigung in einem Gespräch ohne Folgeverhandlungen? Das mag im Westen so üblich sein, jedoch nicht im nahöstlichen Kulturkreis. Was die Zuhörer des Gleichnisses nun erwarteten, waren Verhandlungen: "Geschätzer Herr, ich diene dir nach meinem Vater, der dir diente nach meinem Großvater in Treue und Ergebenheit! Unsere Familien sind seit Generationen miteinander verbunden, wollt Ihr all das aufgeben wegen eines bedauerlichen Missverständnisses?" Oder die Schuld wäre auf wiederum Untergebene abgewälzt worden, oder die Lügner, die dies behaupteten, sollten Rede und Antwort stehen, bei desVerwalters Ehre! Doch all dies...bleibt aus.
Der Verwalter akzeptiert die Kündigung ohne Protest, ohne Beistand, ohne gutes Wort. Sein Schweigen symbolisiert Schuldeingeständnis. Er übernimmt im vollen Umfang die Verantwortung für sein Vergehen. Eine solche Vorgehensweise- das fehlende Debattieren darüber, ob es nicht doch eine Wiedereinstellung geben könnte, ist für den nahen Osten nahezu undenkbar. Der Versuch, Schuld abzuwälzen gelingt zwar nicht, ist aber seit Adam und Eva eine zutiefst menschliche Eigenschaft.
Aber wie reagiert der Verwalter, wenn er allein ist?
"Der Verwalter aber sprach bei sich selbst:
Was soll ich tun? Denn der Herr nimmt mir die Verwaltung ab. Graben kann ich nicht, zu betteln schäme ich mich."
( Lukas 6,3 Elb. Ü.)
Der Verwalter grübelt. Er sucht eine Lösung für die Misere, in der er gelandet ist. Er ist selbstrealistisch genug, um zu verstehen, dass ihm für Feldarbeit die körperlichen Voraussetzungen fehlen ("Graben kann ich nicht"), aber immerhin denkt er darüber nach, auch, wenn es einen nicht zu unterschätzenden sozialen Abstieg bedeutet, und zu betteln schämt er sich, was für einen letzten Funken Ehre im Leib steht.
Und dann kommt ihm eine Idee:
"Ich weiß, was ich tun werde, damit sie mich, wenn ich der Verwaltung enthoben bin, in ihre Häuser aufnehmen."
(Lk 16,4, Elb. Ü.)
Hier kommt ihm der rettende Gedanke, der ihm in Zukunft eine neue Anstellung als Verwalter in einem anderen wohlhabenden Haus garantieren wird, auch, wenn die Nachricht seiner Entlassung "die Runde gemacht hat." Und so zückt er den letzten Trumpf im Ärmel: Niemand weiß von seiner Entlassung außer der Hausherr, jeder wird entsprechend seiner Einladung folgen. Viel Zeit hat er nicht- er muss die Bücher seinem Hausherrn aushändigen. Also muss er schnell, effizient und gründlich handeln- und zwar mit einer cleveren Strategie, die ihn trotz seiner Ehrlosigkeit beliebt macht:
"5 Und er rief jeden einzelnen der Schuldner seines Herrn herbei und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Der aber sprach: Hundert Bat Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldbrief und setze dich schnell hin und schreibe fünfzig! 7 Danach sprach er zu einem anderen: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der aber sprach: Hundert Kor Weizen. Und er spricht zu ihm: Nimm deinen Schuldbrief und schreibe achtzig!" (Lk 16,5 ff)
Ibn al-Tayib* merkt an dieser Stelle an, dass Sünde zu weiterer Sünde führt. Der Verwalter sollte Buße tun, aber anstattdessen macht er tapfer weiter.
Um nicht in eine öffentliche Situation zu geraten und zudem die Dringlichkeit zu unterstreichen, bestellt er die Schuldner seines Herrn ein- und führt Einzelgespräche, auf die jeweiligen Gesprächspartner zugeschnitten. Es hat noch keinerlei Gerede gegeben, er handelt schnell, und so denken die Einbestellten, dass es sich um eine wichtige Nachricht des Gutsherrn handelt, außerhalb der Erntezeit, was ungewöhnlich ist. Jeder folgt noch den Anweisungen des Verwalters, Diener, Einbestellte- es ist eine Sache zwischen ihm und seinem Herrn bis zu diesem Zeitpunkt. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Einbestellten also glauben, er handle in voller Souveränität und Vollmacht seines Herrn und führe die Anweisungen nur aus, bis sie sich in der Situation befinden, dass sie zu einem "kleinen Deal" eingeladen werden, indem ihre Schuld massiv verringert wird, und jede der beiden Parteien in einer Win/Win Situation landet, in dem man das Geld unter sich aufteilt.
Und hier greift ein Aspekt, den wir im westlichen Denken und Kontext nicht verstehen:
Es gibt im Nahen Osten einen massiven Unterschied zwischen öffentlicher Ehre und privaten, nun, ...Vereinbarungen, Händel.
Keiner der Beteiligten hätte einem solchen "Deal" zugestimmt, wenn bereits bekannt gewesen wäre, dass der Verwalter entlassen wurde. Keiner wollte ernsthaft mit dem Hausherrn in Konflikt geraten, aber einen kleinen Vorteil ziehen, von dem niemand was wusste, das war durchaus in ihrem Sinne.
Und ein kleiner Deal war das nicht: Es waren Unsummen, die der Verwalter ihnen erließ, im Gegenwert von anderthalb Jahresgehältern, und so stieg auch eine gewisse...Dankbarkeit gegenüber dem ungerechten Verwalter auf, der hier ein wenig "Robin Hood" spielt. Die Situation der Feldarbeiter war nicht rosig, er nahm Lasten von ihnen. Er ermöglichte ihnen ein besseres Auskommen.
Doch was ist mit dem Hausherrn?
Nun, in einer öffentlichen Schande/Ehre Gesellschaft ist öffentliches Ansehen ausgesprochen wichtig. Und natürlich gingen die so "Beschenkten" zurück ins Dorf und priesen und lobten die Großzügigkeit, die Gnade, die Ehre des Hausherrn- und die des Verwalters noch obendrein, der seinen Hausherrn zu einer solch großzügigen Geste überreden konnte!
Es entstand ein Freudentaumel unter seinen Untertanen. Er wurde über den grünen Klee gelobt! Und natürlich wird niemand weiteres bei einer solchen Gerissenheit und Beteiligung ein falsches Wort über den Verwalter verlieren...
Die Unterschrift macht offensichtlich, dass auch die Pächter die Änderung als gültig akzeptiert hatten, in der ein oder anderen Weise also diesem Schulderlass ebenfalls zustimmten.
Nun hatte der Hausherr also zwei Möglichkeiten:
Er konnte alles richtigstellen und seinen Verwalter anprangern. Das hätte die Freudenfeststimmung aber zu seinen Ungunsten in Mürrischkeit und fehlende Motivation seiner Arbeiter umschlagen lassen. Oder er konnte diesen Taschenspielertrick seines ehemaligen Verwalters absegnen- und damit sein öffentliches Ansehen und das Lob seiner Großzügigkeit erhalten. Er entscheidet sich, den Preis für die Schlechtigkeit und Sünde seines Verwalters zu bezahlen: Denn er ist tatsächlich großzügig, ehrlich, aufrecht und hat schon im Vorfeld darauf verzichtet, sein volles Recht gegenüber dem betrügerischen Angestellten auszuüben: Weder hat er ihn ins Gefängnis werfen lassen noch seine Familie in die Sklaverei geführt. Beides hätte er tun können.
Bei allem, was der Verwalter tat, steht eines im Mittelpunkt: Er ist sich bewusst, dass er ein Schwindler und Betrüger ist- aber er ist sich auch bewusst, dass die Güte und die Großzügigkeit seines Herrn eine echte, eine unumstössliche ist.
Der ganze Plan fußt auf diesem Glauben, dass der Herr ihn am Ende nicht ans Messer liefern wird.
Einen solchen Glauben an das Gut-sein eines Herrn muss man erst einmal haben!
"Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter[1], weil er klug gehandelt hatte; denn die Söhne dieser Welt[2] sind klüger als die Söhne des Lichts gegen ihr eigenes Geschlecht. 9 Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon[3], damit, wenn er zu Ende geht, man euch aufnimmt in die ewigen Zelte!" (Lk 16,8 Elb.Ü.)
Und das ist es, was Jesus lobt: Das rückhaltlose Anerkennen und Akzeptieren der eigenen Schuld. Das clevere Vorgehen, das andere segnet und dem Verwalter einen Ausweg schafft. Aber über allem: Seinen Glauben und sein Vertrauen darauf, dass sein Herr gut ist. Dass es ihm wichtiger sein wird, diesen unverwüstlich an diese Gutheit glaubenden kleinen Betrüger zu retten und den Preis für diese Rettung zu zahlen, als ihn zu verdammen und seine Großzügigkeit in Frage stellen zu lassen.
Nein, Jesus lobt hier nicht den Betrug. Er zeigt das sehr deutlich, in dem er den Verwalter einen "Sohn dieses Zeitalters/dieser Welt", einen fleischlichen Menschen nennt, aufzeigt, dass dieser in Sünde verhaftet ist und seine Sünde sogar noch größer macht.
Er lobt ihn für seine Schlauheit und über den Klee dafür, dass er die Barmherzigkeit seines Herrn richtig einschätzt. Und er rät uns, in unsrer eigenen Gefallenheit, dasselbe zu tun. Und das Königreich Gottes mit genau dieser Schläue, Gerissenheit und gleichzeitig mit der Unschuld und Aufrichtigkeit von Tauben voranzubringen.
Eine Einladung zur Lüge und Hinterlist jedoch ist es nicht, auch wenn es heißt, dass Jesus sich manchmal mehr taktische Schläue von uns wünschen würde.
Und noch etwas steckt in diesem Gleichnis: Der Verwalter hat das Geld seines Hausherrn genutzt, um dessen Ruhm zu mehren und sich Freunde zu machen. Geld-nimmt nicht den Stellenwert ein, den wir ihm geben. Es soll genutzt werden für die Ziele, die wirklich zählen.
Seid gesegnet.
Sibylle/Zionstochter.
Quellen:
Kenneth E.Bailey (Hrsg.): Jesus war kein Europäer. Die Kultur des Nahen Ostens und die Lebenswelt der Evangelien, SCM Verlag 2018, S. 398-410.
* Ibn al-Tayib, indirekt zitiert nach ebd., mehr zur Person: https://de.wikibrief.org/wiki/Ibn_al-Tayyib
Foto: Pixabay
Musik: "Yah Mor"- aramäischer Lobpreis.