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Zwischen Archäologie und Romantisierung- Jesusvorstellungen und was Fankult damit zu tun hat.





Meine lieben Freunde, liebe geschätzte Frauen Gottes,


Jesus wirklich zu begreifen, alleine nur zwischen den Zeilen und als Persönlichkeit, die uns in den Evangelien gegenübertritt, fühlt sich häufig an wie an einer archäologischen Ausgrabungsstätte zu stehen und zu versuchen, die einzelnen Fragmente richtig zusammen zu fügen. Es gelingt uns mehr oder weniger gut, und je nachdem, wie intensiv wir uns interessieren, geben wir uns mit Erklärungstafeln zufrieden oder jenen Experten, die immer allzu bereit sind, ihr Wissen zu teilen- oder eben nicht. Ob es stimmt, was die Experten sagen- nun, das ist oft Vertrauenssache.


Es ist wie mit allen geschichtlichen, realen Ereignissen: Die Illusion derselben ist schöner als die Realität, prächtiger, einfacher zu verstehen.

Wir lieben die Illusion, dass ein mittelalterliches Spectaculum irgend etwas mit dem Mittelalter zu tun haben könnte, wir lieben dieses Reinschnuppern in eine fremde Welt, das Freudige und Leichte. Das Fremde aber, das, was wir am Mittelalter nicht verstehen, das uns gegebenenfalls mit Grausen erfüllt und was wir einfach auch nicht glauben wollen, das radieren wir lieber aus zugunsten des netten Marktgefühls am Sonntag Nachmittag mit Holzschwertern und nachgeschneiderten Kostümen.

Romantisierung nennt sich das- zugunsten von Klischees.


Romantisierung- es ist das flächendeckende Verhalten einer ganz anderen Personengruppe- der Fans. Fans interessieren sich nicht wirklich für die Person hinter ihrer Bewunderung, sondern für das, "was sie zu bieten hat". Stars und Fußballclubs gleichermaßen sind eine Projektionsfläche eigener Wünsche, eigener Träume, Identitätsstifter. Sie stiften Gemeinschaft, sie werfen quasi Bonbons in die jubelnde Menge, die diese hysterisch auffängt- berührt wie sie sind vom Objekt der Begierde. Stars machen Emotionen ungefährlich, zum Lernfeld- denn sie bleiben ja unerreichbar.


Wir alle wissen, was für Hysterie ausbricht, wenn Stars den roten Teppich betreten- von Ohmacht über haltloses Kreischen hin zu "Ich will ein Kind von dir". Die Fans sind vereint in einer gemeinsamen Liebe zu ihrem Star, der jedoch unberührbar, unerfahrbar, unerkannt in seinem wahren Wesen bleibt. Dafür wissen Fans alles andere- von der Lieblingszahnpasta, den Geburtsdaten bis hin zum Lieblingskünstler ihres Stars ist alles bekannt. Und entsprechend wähnen sie sich als Experten. Getroffen, mit ihm geredet, sich in Tiefe mit ihrem Star auseinander gesetzt haben sich indes die wenigsten.


Jesus von Nazareth.


Niemand hat mehr Fanartikel als er. Kaffeetassen, Poster, Bilder, Tagebücher, Ausmalbilder, Lobpreislieder-CDs, Worship-Abende. Abendmal-Oblaten mit Lebkuchen- oder Kürbisgeschmack. T-Shirts. Gibt es Jesus Unterhosen? Ich fürchte, ja. Irgendwo gibt es auch sie. Sprüchekalender, Musicals, the Chosen. Flaggenschwingen und Ausdruckstanz. Jesus Fans sind kreativ, begeistert bis hysterisch, leidenschaftlich bis fanatisch darin, ihm ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen.

Das Problem ist:

In all dieser Leidenschaft erzielt ein Artikel über ein Jesus Gleichnis extrem wenige Likes im Vergleich zu der ganzen Fanmerchandising-Thematik wie Dämonenkämpfe, Gemeindebau und das richtige Lobpreisen.


Manchmal, nur manchmal entsteht der Eindruck, dass man leise fragen will: "Wem genau folgst du denn eigentlich? Wer ist dieser Jesus?" und dass man mit strahlenden Augen die Antwort erhält: "Ist doch egal, ist doch toll hier, merkst du das nicht? JEEESUSSS!!"


Sehr treffend nannte das eine Bekannte vor kurzem übertriebene, künstliche, ja, nahezu hysterische Freude. Es ist dasselbe Jubeln wie in den 60ern bei den Beatles, in den 70ern bei den Stones, in den 80ern bei Michael Jackson und in den 90ern bei New Kids on the Block.


Und um ehrlich zu sein: Es macht mir Angst.


Es macht mir Angst, weil genau wie bei den anderen Stars im Hintergrund geschickt die ökonomischen Fäden gezogen werden, um der Masse ihre Bespaßung zu bieten. Um jeden Preis, auch um den der wahren Jesusbeziehung: "Du brauchst diese Bibelstudie, um Jesus zu verstehen! Ich trinke mit Jesus jeden Morgen Kaffee, und ich garantiere dir, was er will, ist, dass du genau diese App, genau dieses Buch, genau dieses Tshirt, genau diese Methode anwendest, um ihn kennenzulernen! Nur so kannst du neugeboren werden, nur so kannst du mehr über deinen Star erfahren!" Die Manager des einsamen Superstars schlafen nicht und schirmen ihn gut ab. Und nur allzu gerne treten sie an seine Stelle- unkritisierbar und autorisiert.


Während all dessen ist Jesus nur ein Gebet weit entfernt.


Jener Jesus, der gegen all diesen Firlefanz und Mammon aufstand. Jener Jesus, mit dem man sich auseinandersetzen muss, um ihm zu begegnen. Jener Jesus, der für die Armen und Ausgegrenzten aufsteht und jene anblafft und zur Seite stößt, die den Verlorenen Schafen des Volkes Israel den Weg zum Vater versperren. Eben jener Jesus, der zuhört, sich Zeit nimmt und verbindlich ist. Der sagt, dass er niemanden abweist, der zu ihm kommt. Der nahbare, der eindeutige, der wahre Gott und Mensch auf Erden.


Ja, Fans hatte er schon damals, in Israel, in den Hochzeiten seines Wirkens. Sie schrien nach Zeichen und Wundern, nach Heilungen, schleppten ausgestoßene Blinde in seine Nähe, damit er sie vorführte- und er führte sie vors Dorf, heilte sie und befreite sie vom sensationslustigen Mob. Seine Fans jubelten Hosianna! und kurz darauf: "Tötet ihn!" - enttäuscht davon, dass er anders handelte als erwartet, dass die Geschichte nicht in ihrem Sinne weiterlief und das 1000jährige Friedensreich nicht errichtet wurde- zumindest nicht so, wie sie es sich vorstellten.


Wer ist Jesus? Was hat ihn geprägt? Welches Umfeld umgab ihn? Wie waren die gesellschaftlichen Strukturen? Was bedeutete es, aus Nazareth zu kommen? Wogegen wendet er sich, und wie ist das mit der Kaisermünze wirklich zu verstehen?


Wenn wir uns mit Jesus in Tiefe auseinandersetzen, dann wird sein Bild nicht verschwommener und gefährlich weltlich, sondern es wird klar. Es wird kristallklar, es bekommt Profil und Persönlichkeit. Wir verstehen, wie er agiert, wie er handelt, wozu er aufruft, wir sehen Hesekiel 34 lebendig werden. Wir sehen, wie er sich als guter Hirte bezeichnet und wie ein guter Hirte handelt- und wie er die Wölfe selbst entlarvt. Wir sehen, wie er kämpft für die Seinen und wie er seine Herde sammelt, und wie er bereit ist, sich von den Wölfen für sie zerreißen zu lassen. Wir sehen, dass sein Anspruch ein echter ist, wie Altes und Neues Testament zusammenfließen in einer Person, in einem Erlöser. Aber dafür müssen wir graben. Wie Archäologen. Und müssen den Mut haben, die Lücken zu füllen. Wir müssen den Mut haben, zu ergreifen, was da ist. Wir müssen aus einem Traumbild eine reale Person machen. Aus der realen Person einen realen Gott. Und den Mut haben, Jesusähnlich zu werden. Christusähnlich. Doch dazu- sollten wir wissen, wer er ist. Sonst erkennen wir nicht, wozu wir werden sollen.


Mögen wir Jesus wirklich kennen wollen.



Seid gesegnet.


Sibylle/Zionstochter.

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