- sibyllezion
Im Zwischenraum von Kreuz und Gnade

Meine lieben Freunde, liebe Frauen Gottes,
Zack-zack.
Als ich über die Artikel zum Thema Gnade und Kreuz nachgedacht habe, war dies mein Plan. In der einen Woche Gnade- in der anderen Woche das Kreuz, das Knien und Ringen. Als ob es so einfach wäre, so schwarz-weiß.
Was tut man, wenn man in einer Saubermann-Fassade lebt, aber der Sand im Getriebe knirscht vernehmlich? Was geschieht, wenn man in einer Vorbildfunktion ist, aber man weiß ganz genau um die eigene Gefallenheit oder um die Gefallenheit des Partners? Was tut eine christliche Ehefrau, deren Mann alle Verhaltensweisen eines verdeckten Narzissten aufweist, die aber selbst Familientherapeutin ist und in Verantwortung steht für andere?
Es ist das, was uns am meisten empört, wenn es ans Tageslicht kommt, ist es nicht so?
Wenn jemand offensichtlich Sünde und Hass in seinem Leben hat, der doch eigentlich eine Vorbildfunktion für uns eingenommen hat, der doch mit den Lippen etwas vollkommen anderes bekennt, als das, was er selbst lebt? Die Palette ist lang, auf der sich diese Rucksäcke mit Sünden auftürmen: Außereheliche Affairen, Alkoholsucht, missbräuchliche Ehen, Steuerhinterziehung und finanzieller Betrug, vorsätzliche Täuschung von Fans und Followern, Unterstützung von Waffengeschäften und mafiosen Strukturen, Ku Klux Klan. Umso bekannter das Vorbild, desto mehr Einfluss in der Welt.
Wir sind schnell dabei, internationale Leiter und ihre Familien an den idealisierten Maßstäben zu messen, die Paulus uns gegeben hat. Idealisiert deshalb, weil auch Timothy diesen Ansprüchen nicht gerecht werden konnte- und weil selbst von Paulus bekannt ist, dass er nicht einmal mit Petrus einmütig sein konnte. Weil wir auch bei ihm sehen, wie Stolz übernimmt, wie er wütend wird, wie er sarkastisch reagiert.
Ich glaube, dass der Unterschied, der maßgebliche Unterschied ist, dass Paulus und Petrus wussten, wie fehlerhaft und gleichzeitig angenommen sie waren- sie lebten im Zwischenraum von Gnade und Kreuz.
Es ist bezeichnend, dass es Absätze gibt, wo Paulus dies deutlich macht- und wie sich seine Haltung und Einstellung unterscheidet, wenn er es tut: "Das sagt Gott, und das sage ich, Paulus, das ist meine Meinung" Und selbstverständlich wissen wir, dass er einerseits die Miterbenschaft und Herrlichkeit ausruft, zu der wir berufen sind- und auf der anderen Seite darüber klagt, dass er sündigt, obwohl er es nicht will.
Irgendwie und irgendwo ist dieses Leben zwischen Kreuz und Gnade verwischt, und in weiten Teilen auch verloren gegangen. Sei es durch Lausanne und die Vereinbarung, die Bibel niemals kritisch zu hinterfragen, sei es durch oberflächliches Lesen, sei es durch eigene Verbohrtheit- der Zwischenraum ist Extrempositionen gewichen, und dass das unabstreitbar so ist, sehen wir, wenn wir uns die allgemeine Gemeindelandschaft zwischen verbohrter, harter Gesetzlichkeit und Hypergrace genauer ansehen.
Und dazu kommen dann all die Grenzbereiche, all jene Bereiche, in denen wir gefordert sind, zu prüfen.
Ja, Jesus sagt uns, wir sollen 7x77x vergeben, wenn uns jemand verletzt. Ja, Jesus sagt uns, wir sollen die Ehe erhalten. Aber was ist, wenn der eigene Ehemann in seinem Verhalten so toxisch ist, dass er die eigene Seele zerstört? Was, wenn es keine Umkehr bei ihm gibt? Wieviel erträgt man, was ist krank? Wo wird die Ehe wirklich gebrochen?
Was, wenn man krank wird an der Seite des Mannes, den man doch eigentlich lieben soll, und wenn der Fluch, dass man sich nach ihm sehnt, er aber gnadenlos über einen herrscht, von ihm als gottgewollt gesehen wird? Was, wenn das eigene Leben leer bleibt und man Angst hat vor dem nächsten seelischen Schlag- und keiner darf es wissen?
Was, wenn man eben noch selbstzufrieden seine eigene Heiligkeit feierte, zufrieden die Familienfotos betrachtete, die man im letzten Urlaub mit seinem 13jährigen Sohn beim Angeln geschossen hat, und nun sagt der geliebte Bengel, dass er sich in einem Jungen verliebt hat? Wo man doch noch vor einer Woche voller Abscheu gegen Homosexuelle von der Kanzel gewettert hat? Der eigene Sohn? Den man so sehr liebt? Und der jetzt mit angstgeweiteten Augen dieselbe Verurteilung von seinen Eltern erwartet- schmerzerfüllt und so einsam den finalen Schlag erwartend?
Was, wenn man plötzlich merkt, dass man eigentlich Menschen nur konsumiert und das aus ihnen herauszieht, was "einem selbst guttut"- aber dass dieses Verhalten nichts mit dem Liebesgebot zu tun hat? Was, wenn man eingestehen muss, dass man selbst, großmäulig von Liebe prahlend, selbst der Bedürftigste ist?
Was, wenn man damit konfrontiert ist, dass man jahrelang etwas predigte, dass sich nicht halten lässt- damit reich und berühmt wurde und darin lebte wie die Made im Speck?
Sünde hat die Eigenschaft, dass sie uns früher oder später auf die Füße fällt- ganz ohne die mahnenden und verdammenden Stimmen unserer lieben Mitgeschwister, die sich wie die Geier auf das gefundene Fressen stürzen. Das ist es, was Jesus meinte, als er sagte, dass das Verborgene ans Licht kommen wird, dass das, was geflüstert wurde, laut auf öffentlichen Plätzen gerufen wird.
Es ist einfacher für uns, in solchen Situationen das Gegenüber zu verurteilen- als ehrlich in den Spiegel zu blicken. Wir vermeiden dann im Zweifelsfalle den Blick in den Spiegel und hängen ihn ab, um mit Dartpfeilen auf die zu schießen, die noch schlechter sind als wir. Denn es tut verdammt weh, hinzusehen.
Ich war einst an einem solch bitteren Punkt.
Ich hatte Verantwortung übernommen über eine Gruppe von Leuten, die in mir ein Vorbild sahen. Ich hatte Geld- und zeitweise gutes Geld- damit verdient, ihnen an Wochenenden in Inbrunst und Überzeugung etwas beizubringen, was sich anschließend als falsch und unhaltbar herausstellte. Ich kenne das Gefühl des vollkommenen Scheiterns.
Ich bin Jesus sehr dankbar dafür, dass ich es erfahren durfte, bevor ich in seinem Namen handelte. Es hat mich vorsichtig gemacht, aber es hat mir auch Gnade gegeben für jene, die in eine solche Situation geraten. Es ist furchtbar, denn wenn man sich für die Wahrheit entscheidet, dafür, dass man die krummen Wege gerade zieht, richten sich die Augen des Umfeldes in der Regel mit hemmungsloser Leichenfledderei auf einen- und nicht mit der Anerkenntnis des Mutes, der ehrlichen Hingabe an einen Gott der Wahrheit, die es kostet, umzukehren.
Und so landen nicht wenige in dem, was wir "hinter verschlossenen Türen" nennen- und versuchen, die morschen Balken so lange zu ignorieren,bis sie von selbst brechen.
Reicht es nicht, Jesus, wenn ich dir sage, dass ich weiß, dass ich falsch handle? Kann das nicht bittebitte zwischen uns bleiben? Laut hallt in solchen Situationen das "Geh, und sündige hinfort nicht mehr!" in unseren Ohren. Ja, wir wissen- irgendwie, keine Ahnung wie- dass er da sein wird, unser Herr, Freund und der, der alle unsere Sünden zudeckt. Aber das, was vor uns liegt, ist ein Scherbenhaufen der Reputation, es ist ein Eingeständnis von Scheitern, das vernichtend wirkt. Und selbst wenn er sagt, dass er Asche in Schönheit verwandeln wird, ist das, was wir sehen, ein Trümmerberg.
Der christliche Leiter, den alle lieben- und den die Ehefrau verlässt- verletzt, geschlagen, weil sie nicht innerlich sterben will.
Der Lobpreisleiter, der eingesteht, dass er schon lange an der Flasche hängt und seinen Glauben verloren hat- weil er an der Enge und ständigen Beurteilung seiner Heiligkeit kaputt gegangen ist. Dessen Ansehen dahin ist.
Nein, zackzack ist der Weg zwischen Gnade und Kreuz nicht zu beschreiben. Echte Sündenerkenntnis hat Konsequenzen. Sie fordert Entscheidung und Abkehr, und umso länger der Gang zum Kreuz vermieden wurde, desto heftiger häufig die Konsequenz.
Was passierte mit mir, als ich an meinem dunkelsten Umkehrpunkt angelangte?
Zunächst, und da beißt die Maus keinen Faden ab, verlor ich alles. Wohnung, Freunde, Beziehung, das, woraus ich meine Anerkennung gezogen hatte. Ich verlor alle vermeintlichen und falschen Sicherheiten.
Ich war unsicher, angstvoll, einsam. Reue- sie erschüttert uns. Öffentlich zu machen, dass ich den Weg als falsch erkannt hatte, mich mit jenen konfrontieren, die mir vertraut hatten, war das ärgste, und Jesus ersparte es mir nicht.
Doch in all dem, was hart und heftig war, war etwas, das unersetzlich war:
Eine heilige, innere, reine Freude. Ich atmete frische Luft statt den ewig gleichen Muff.
Eine neue Lebendigkeit kam, und ich musste mich nicht mehr verstecken. Die Wege waren gerade, und Jesus richtete mich auf. Nein, im Muff bleiben ist kein Weg.
Und der erste Schritt heraus- es ist der Weg ans Kreuz. Es ist der Weg zu dem, der darauf wartet, unser Scheitern mit Liebe und Freundlichkeit zu beantworten. Wenn wir uns zu ihm trauen, um zu sagen, dass das wohl mal wieder daneben ging.
Seid gesegnet, ihr heiligen Sünder. Ihr geliebten Wracks. Ihr zur Herrlichkeit bestimmten Katastrophen. Ihr seid geliebt. Ich bin geliebt. In all unserer inneren Gebrochenheit. Und wer ohne Sünde ist, möge den ersten Stein auf uns werfen.
Sibylle/Zionstochter